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Gespräche



 24.06.2016 - Christoph Poschenrieder - Autor 



Christoph Poschenrieder

Christoph Poschenrieder ist Schriftsteller. In seinem ersten Roman „Die Welt ist im Kopf“ stellte er den jungen Arthur Schopenhauer in den Mittelpunkt. Auch in seinen weiteren Büchern geht es häufig um Schopenhauer. In Poschenrieders letztem Roman „Der Mauersegler“(Diogenes Verlag) ziehen fünf Jugendfreunde im Rentenalter zusammen in eine Alten-WG, wo sie den Rest ihres Lebens miteinander genießen und auf gegenseitige Hilfe zählen.


Herr Poschenrieder, mit „Der Mauersegler“ beschreiben Sie sehr unterhaltsam ein heikles Thema: Das Alter. Das Alter lässt sich nicht wegdrängen, es sei denn, der Tod kommt ihm zuvor. In diesem Buch treffen sich Jugendfreunde wieder, die im Seniorenalter eine Männer -Wohngemeinschaft aufmachen. Der Leser bibbert und leidet mit ihnen an den dramatischen Entwicklungen, aber es gibt einen erfreulichen und schönen Schluss. Ist es Ihr Wunschgedanke, Herr Poschenrieder, für das eigene Älterwerden in eine Männer-WG zu ziehen?

Es muss nicht unbedingt eine Männer-WG sein. Eine Wohngemeinschaft als solches ist eine gute Möglichkeit fürs oder im Alter. Mit Freunden denken meine Frau und ich darüber nach, doch haben wir keine Villa am Starnberger See.

„Das Ableben geht weiter“. Über solche makaberen Sprüche über das Ab- und Weiterleben stolpert der Leser im „Mauersegler“. Warum sind Sie von dem Philosophen Arthur Schopenhauer so angetan, dass er in diesem Buch immer wieder auftaucht?
Arthur Schopenhauer ist mein Lieblingsphilosoph. Den habe ich genauer studiert während meines Philosophiestudiums, als denjenigen, der meiner Auffassung nach am nächsten an der Lebensrealität ist. Ein Mann, der von der Erfahrung kommt und immer wieder auf die Erfahrung zurückkommt. Der nicht vom Absoluten her deduziert, sondern sich wirklich in der Welt umgeschaut hat und deswegen auch interessante Dinge über die Welt zu sagen hat. Das war ein guter Autor, der gut schreiben konnte. Man kann ihn auch gut lesen, ohne das man sich fragt, was das alles sein soll.

Ist Schopenhauer mit seiner Philosophie der Kompass für die Wohngemeinschaft?

Es kommen ab und zu für den Ich-Erzähler Betrachtungen aus Schopenhauers Sicht auf die Welt vor. Der andere Teil der Wohngemeinschaft ist philosophisch ganz entspannt.

Im Haus dieser Alters-WG ist so viel wie möglich automatisiert. Keine schlechte Idee, alltägliche Abläufe durch Technik recht zu vereinfachen. Haben Sie das schon persönlich erlebt?

Nein, so kenne ich das nicht, und die Figur Ernst im Buch „Der Mauersegler“ hat da einen persönlichen Spleen, um die Computerisierung auf die Spitze zu treiben.

Beliebt ist, Autoren zu fragen, nach welchen Kriterien sie ihre Protagonisten festlegen. Im Ihrem Buch „Die Welt ist im Kopf“ begegnet der junge Arthur Schopenhauer dem großen Johann Wolfgang von Goethe. Ich möchte Sie statt dessen fragen, als Sie in Schopenhauers Reisetagebuch recherchiert haben, bekamen Sie da Lust auf diese selbe Reise nach Venedig?
Für dieses Buch war es notwendig, Venedig anzugucken. Es beschreibt die Reise Schopenhauers von Dresden nach Venedig. Damals hatte ich Zeit, da bin ich auf der Postkutschen-Route mit dem Auto von Dresden nach Venedig gefahren. Viel ist aber von den Stationen, die in seinem Reisetagebuch vorkommen, nicht mehr erhalten. Es fängt erst richtig an, als Schopenhauer in Italien angekommen war.

Es ist eine nette Einblende von Ihnen mit Schopenhauer und den sauren Gurken. Auf seiner Reise nach Venedig erleben wir auch einen emotionalen und hilfsbereiten Schopenhauer.

Herr Poschenrieder, Sie schreiben so wunderschöne Sätze wie „Der Himmel, bereit für die Nacht, zog sich gerade ein daunenfedriges Wolkendeck über“, oder: “Vor ein paar Tagen hatte die Sonne dem Platz temporäre Vergoldung vergönnt“. Was macht Sie so poetisch?
Da gibt es ein Spruch von Charles Baudelaire: Always be a poet, even in prose. Ich lese gerne Bücher, die schön geschrieben sind. In denen man das Gefühl hat, da wird mit Sprache gearbeitet, mit der Imagination, die die Sprache hervorrufen kann. Und gelegentlich, wenn mir so etwas einfällt, versuche ich es auch in eigenen Werken unterzubringen.

In „Die Welt ist im Kopf“ erleben wir Schopenhauers Frust, dass ihn sein Verleger Brockhaus mehr oder weniger hängen lässt. Das ist der pure Alptraum eines jeden Schriftstellers. Ist Ihnen das schon passiert?
Nein, zum Glück nicht.

Wie hat der Diogenes Verlag Sie als Autor entdeckt?

Ich hatte von meinem ersten Manuskript einen Auszug in einen Umschlag gesteckt und zum Verlag geschickt. Das war es auch schon.

Und Sie haben umgehend Antwort bekommen?
Es hatte ein wenig gedauert. Der Verlag wollte das ganze Manuskript haben, das ich natürlich hintergeschickt habe, und bald darauf bekam ich einen Vertrag.

Das ging nicht über eine Agentur?

Nein, ich habe keinen Agenten oder eine Agentur.

Wow, das macht Hoffnung für alle Schreibenden, die ihr Werk verlegt haben möchten.

Warum haben Sie sich den Diogenes Verlag ausgesucht?

Nun, weil ich gerne Diogenes Bücher lese, und ich dachte, dass der Verlag nicht unpassend ist für meine Art zu erzählen: Erzählende Literatur. Ich versuche ja nicht den Roman neu zu erfinden, ich versuche nur gut zu erzählen.

Die Arbeit eines Autors ist eine einsame Arbeit. Wie verschaffen Sie sich einen Ausgleich zum Schreiben?
Durch Hobbys, Freunde und Familie. Wenn ich genug vom Schreiben habe, wird etwas anderes gemacht. Aber ich laufe schon gelegentlich Gefahr, wenn ich in Schwung bin, mich abzukapseln und die sozialen Kontakte etwas einzuschränken. Man kann nicht beides haben.

Haben Sie auch Schreibpausen, oder schreiben Sie Ihre Bücher parallel?

Nein, ich schreibe immer nur an einem Buch. Es gibt dann schon Pausen, wenn ich ein Buch abgegeben habe. Also wenn es ins Lektorat geht, habe ich noch eine Weile damit zutun, danach geht es in den Satz. In der Zeit bis zur Veröffentlichung entsteht was Neues. Zurzeit bin ich schon wieder am Schreiben.

„Die Philosophie ist die Schönheit des Denkens“. Das sagt die Schriftstellerin Madame de Stäel in Ihrem Buch „Die Welt ist im Kopf“. Welche Rolle spielt diese Schönheit in diesem Buch?
Es geht um Schopenhauer, der sein Hauptwerk „Wille und Welt der Vorstellung“ reflektiert, indem er seiner eigenen Philosophie die Erkenntnisse der Realität gegenüber stellt. Schopenhauer ist kein Philosoph des Abstrakten, sondern ein Philosoph, der aus der Erfahrung schöpft.

Arthur Schopenhauer steht allgemein im Verruf, sehr abweisend oder ein Misanthrop gewesen zu sein, doch in Ihren Buch „Die Welt ist im Kopf“ ist Schopenhauer recht sympathisch gezeichnet, da er sich, wie viele andere Menschen, auch verwirren lässt. Wollten Sie Arthur Schopenhauer so sehen?
Das Klischeebild von Schopenhauer ist immer dieser alte Mann mit den wenigen Haaren, der etwas zerzaust aussieht und so seltsam in die Kamera guckt. Mein Schopenhauer ist ein junger Mann, gerade dreißig Jahre alt, und der sieht hoffungsvoll und hoffnungsfroh auf die Welt. Er ist noch offen für alles. Sicher ist er keine einfache Persönlichkeit, das spricht aber nicht gegen ihn. Die Enttäuschungen, vor allem die ganz große, dass sein Werk nicht gewürdigt wird und er als Philosoph in die Ecke gestellt wird, die hat er da noch vor sich.

In Ihrem Buch „Das Sandkorn“ streut ein Mann Sand auf die Straßen. Er wird vom Geheimdienst beobachtet, und ein Kommissar geht der Sache nach. Das könnte ein Kriminalroman sein, doch der Verlag kündigt „Das Sandkorn“ als Roman an. Schreiben Sie auch Krimis?
Ich hab’ es nicht vor, Krimis zu schreiben. Wenn man das heutzutage anfängt, muss man gleich eine ganze Serie daraus machen. Mir ist es lieber, ich kann mit jedem neuen Buch neu anfangen, mit neuem Thema und neuem Stoff.

Wie ist Ihr Empfinden, wenn Sie Erlebnisse von Menschen im ersten Weltkrieg wie im Buch „Der Spiegelkasten“ beschreiben?

Nun gut, das muss ich ja versuchen, mich immer in das einzufinden, was die Menschen da erlebt haben, was natürlich sehr schwierig ist. Das Erleben schrecklicher Dinge kann man sich kaum vorstellen, da es dermaßen existenziell und erschütternd und erschreckend ist. Dass es aus dem zeitlichen Abstand, aus dem persönlichen Abstand kaum wirklich nachvollziehbar ist.

Haben Sie für den Roman „Der Spiegelkasten“ die Kriegsszenen vor Ort recherchiert, oder gar eine Szene, wie Soldaten aus dem Graben zu schieben, nachgestellt oder gespielt (Theater,) um sie dann beschreiben zu können?
Nein, nachspielen muss man das nicht, da reicht das Vorstellungsvermögen. Es gibt auch ein paar Original-Filmdokumente mit Echtzeitaufnahmen.

Herr Poschenrieder, Sie sind nominiert für den Deutschen Buchpreis und mit einem Künstlerstipendium des Studienzentrums in Venedig geehrt und lebten für eine Zeit in Venedig. Hat Sie Venedig für einen neuen Roman inspiriert?
Venedig liegt noch vor mir. Das wird im Herbst 2016 sein. Ich bin heuer im letzten März von einem 11-monatigen Literaturstipendium aus Bamberg zurückgekehrt.

Ist es Pflicht, wenn man ein Literaturstipendium erhält und in einem der wunderschönen Häuser wohnt, zu schreiben?
Künstlerische Arbeit kann man nicht erzwingen, doch natürlich wird die Zeit auch zum Schreiben genutzt

In Ihrer Vita steht, dass Sie auch Dokumentarfilmer sind. Welche Themen filmen Sie?
Diese Dokumentarfilmzeit liegt schon etwas länger zurück. Das waren damals kulturhistorische Themen, mal für das Bayerische Fernsehen oder den Westdeutschen Rundfunk, beispielsweise über die Geschichte der Technik aus kulturgeschichtlichem Blickwinkel.

Es gibt Informationen über Sie, dass Sie auch Gebrauchsanweisungen für Computer schreiben. Wirklich?

Das ist auch eine vergangene Episode in meinem Leben. Ich war eine Zeit lang angestellt in einem Software-Unternehmen in der technischen Dokumentation, dafür habe ich Bedienungsanleitungen für Videoschnitt-Software erstellt.

Ihr Buch „Die Welt ist im Kopf“ ist ein spannendes und humorvolles Buch und hält den Leser in absoluter Spannung: wann trifft Schopenhauer Lord Byron? Dann das Geheimnis um die Visitenkarte und die bewegte Gondel-Verfolgungsfahrt mit verhinderter Verhaftung. Doch alle Ihre Bücher sind fabelhaft spannend, und weitere werden sehnsüchtig erwartet. Vielen Dank für das Gespräch


©Steffi.M.Black 2016 (Text)
©Diogenes Verlag (Bild)