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Gespräche



 30.07.2013 - Das Gespräch mit Nikolaus Gradl 



Nik Gradl u. Elli Köveri, Vorstand Bü&mehr e.V.

Nikolaus Gradl
ist Stadtrat in München und in der SPD-Fraktion und war damals Ansprechpartner für das Bücherbegehren. Nach dem Tag des Bürgerentscheids war Nikolaus Gradl eines der Gründungsmitglieder von dem jetzigen Förderverein Bücher & mehr e.V.


Wie haben Sie damals die Nachricht aufgenommen, dass einige Stadtteilbibliotheken dem Rotstift zum Opfer fallen sollen?
Ich habe die Pläne von Frau Prof. Hartl, die damals Kulturreferentin war, über die Medien erfahren. Für mich kam überhaupt nicht in Frage, eine einzelne Stadtbibliothek zu schließen, aber man muss sehen, in der damaligen Zeit (2002) war die Finanzlage der Stadt katastrophal, weil die Gewerbesteuerzahlen ganz stark unten waren. Man hat im Prinzip keine Unterscheidung gemacht, wo man spart, sondern man hat einfach pauschal gesagt, dass jedes Jahr 3 Prozent der Kosten 'runtergehen müssen. Nach dem Rasenmäher-Prinzip ging es über alle Referate, und innerhalb des Referats wollte man Bereiche des Kulturbudgets kürzen. Gottseidank hat das bei Vielen für einen Aufschrei gesorgt, die gesagt haben „Rasenmäher-Prinzip kommt gar nicht in Frage“!

Welche Rolle spielten/spielen die Stadtbibliotheken in Ihrem Leben?
Bei mir eine lange Rolle, da meine Eltern in der Nähe von zwei Stadtbibliotheken gewohnt haben. So war ich ständig in der Kinderbibliothek an der Wörthstrasse ein- und ausgegangen, und meine Eltern in der Erwachsenen-Bibliothek am Wiener Platz. Beide Bibliotheken sind mittlerweile geschlossen worden. Danach gingen wir in das neue Gebäude am Gasteig, die heutige Zentralbibliothek.

Haben Sie etwas in besonderer Erinnerung behalten?
An Bücher erinnere ich mich weniger als an die vielen Veranstaltungen, die dort statt gefunden haben. Da war immer 'was los, und es gab aktive wie attraktive Programme.

Welche Bücher liest der Stadtrat Nikolaus Gradl heute am liebsten?

Im Moment lese ich ein Buch über Cyperpanks. Das Buch ist herausgegeben von Julian Assange. Ich lese viel IT-Literatur, Fachbücher oder Fachaufsätze. In Ferien gibt es schon mal den einen oder anderen Roman. In den Bibliotheken nutze ich sehr gerne die Archive für meine Arbeiten.

Auf der offiziellen Webseite der „SPD-Fraktion München im Rathaus“ ist über Sie zu lesen, dass Ihnen kulturelle Vielfalt und die Jugendkultur sehr am Herzen liegen. Was tun Sie dafür?
Ich glaube, dass man für Jugendkultur um Verständnis werben muss. Es gibt Bereiche, die werden als selbstverständlich angesehen, weil sie in der Nachkriegszeit entstanden sind und für ein Massenpublikum da waren. Diese sind aber auch mittlerweile in der Existenz bedroht. Wir reden über Kinosterben, das ist für mich Jugendkultur, wir reden über Konzertbühnen dieser Stadt, das ist für mich Jugendkultur. Es gibt viele Bereiche in denen eine Veränderung stattfindet, weil Mieten immer teuer werden, oder weil immer mehr eine Kommerzialisierung in der Stadt stattfindet, was auch zu einer Verdrängung von Kultur führt. Darum gilt es, dieses Thema auf eine Ebene mit der Hochkultur zu heben. Förderung von unterschiedlichen Einrichtungen, nicht nur die großen Häuser wie die Kammerspiele, Philharmoniker oder städtischen Museen. Wichtig ist, eine Vielfalt von Initiativen und Institutionen in Stadtvierteln zu haben, die Kultur machen, und diese Kultur soll durch den Stadtrat und die finanziellen Möglichkeiten der Stadt unterstützt werden. Es geht darum, Kontakt zu den Projekten zu halten, die in der Jugendkultur angesiedelt sind, und die ohne finanzielle Unterstützung gar nicht richtig existieren können.

Herr Gradl, Sie sind Stadtrat und im Kulturausschuss der SPD. Dieser fördert das kulturelle Leben in München. Der Kulturausschuss ist auch für die Münchner Stadtbibliotheken verantwortlich. Was ist geplant? Bekommen einzelne Stadtteile neue Stadtbibliotheken?
Es ist in der Tat so, dass 2003 von der SPD und den Grünen der Vorschlag kam, drei neue Bibliotheken zu bauen. Es hat etwas länger gedauert, aber zwei Bibliotheken sind eröffnet und diese sind sehr schön geworden. Das ist die neue Bibliothek in Neuhausen, liebevoll genannt „Der Neuhauser Trafo“, und das Kulturzentrum 2411 mit zusätzlichen Beratungseinrichtungen im Gebäude. Das ist ein rundum wirkendes, umfangreiches kulturelles Zentrum im Hasenbergl geworden. Der Bau der dritten Bibliothek an der Daisenhofener Straße ist auch bald abgeschlossen. Wir haben noch eine Verlagerung in diesem Jahr auf der Schwanthalerhöhe, die auch durch die MGS gebaut wird. Eine neue Stadtbibliothek in der Nähe der Theresienwiese. Die Bibliothek im Westend wird geschlossen, da Sanierungsmaßnahmen auf diesem Gelände stattfinden werden. Für Trudering werden wir das gleiche beschließen, dort gibt es auch eine Verlagerung. Wenn wir bei einer Bibliothek 'was ändern müssen, dann ist die Position der SPD immer, den Standort der Lauflage möglichst optimal zu einer U- oder S-Bahn zu legen, weil wir sagen, da, wo die Leute sowieso während des Tages hin laufen, ist die Wahrscheinlichkeit groß, dass sie auf ihrem Weg die Bibliothek nutzen. Das hat gut funktioniert. In den letzten Jahren haben die Bibliotheken an Besucherzahlen zugelegt. Die Ausleihzahlen gehen immer weiter nach oben. Das heißt natürlich auch nachzudenken, ob es nicht Stadtviertel gibt, die zusätzliche Standorte für Bibliotheken brauchen.

Gibt es Diskussionen darüber?
Die gibt es, denn die Situation heute ist anders als 2002, das heißt die Gewerbesteuerzahlen sind 2013 viel besser als in 2002. Das gibt wieder Spielraum. Wir haben dieses Jahr den Antrag gestellt, den Ankaufsetat, insbesondere von elektronischen Büchern, massiv zu erhöhen, im 6-stelligen Bereich. Wir haben neue Bücherbusse angeschafft und wir diskutieren darüber - da die Bevölkerungszahl der Stadt wächst, denn Leute ziehen wieder in die Stadt -, ob man neu entstehende Wohngebiete mit einer Bibliotheksnutzung versorgen sollte.

Was geschieht jetzt ganz konkret?
Im Moment geht es jetzt hauptsächlich um die Sanierung von bestehenden Standorten und dort, wo sich neue Perspektiven eröffnen, um Verlagerung der Bibliothek. Wir reden über eine Verlagerung, die vielleicht nur 500 Meter weiter im Stadtviertel stattfinden soll. Hoher Stellenwert liegt auf dem Thema Barrierefreiheit und Erreichbarkeit der Bibliotheken. Wir haben immer noch Standorte, die eine Katastrophe für behinderte Menschen sind. Es gibt keine neuen Pläne, dass man Standorte auflässt, d.h. schließt. Die Zusage steht. Durch die Bürgerinitiative von damals ist ein neuer Dialog entstanden, und die Beschlüsse, die Rot/Grün vor dem Bürgerbegehren gefasst hat, die bestehen bis heute.

Stadtbibliotheken waren einmal kostenlos für Benutzer. Warum muss der Leser Beitrag zahlen?
Also der Beitrag reicht mit Nichten, um die Kosten der Bibliotheken zu decken. Wir geben für Bibliotheken ca. 30 Millionen aus. Einnahmen aus Gebühren sind ein absoluter Bruchteil davon, trotzdem war damals die Überzeugung, dass man für einen Service, den man schätzt, auch bereit ist, etwas zu zahlen.

Herr Gradl, Sie haben die Plattform MUX gegründet. Eine gute Einrichtung. Das ist eine Internetseite, auf der man mit einem Blick sämtliche Bereiche in München abrufen kann, ob Geschäfte, Restaurants, Handwerker, Dienstleistungen usw. Auch die Münchner Stadtbibliotheken sind alle vorhanden. Welche Bibliothek besuchen und nutzen Sie ?
Also ich wohne in der Nähe des Backsteinbaus, über dessen Sanierung viel diskutiert wird, auch bei uns in der Kommunalpolitik, d.h. ich gehe regelmäßig im Gasteig ein und aus. Früher bin ich dort sehr viel in den Lesesälen und in der Kinder- u. Jugendbibliothek gewesen, aber ich schätze es auch. in kleinere Bibliotheken zu gehen. Ich bin ein großer Fan des Lesesaals der Juristischen Bibliothek im Rathaus.

Sie kommen aus der Software-Entwicklung. Würden Sie als Entwicklungs-Projektleiter gerne Bücher in digitaler Form, also als e-book, lesen?
Reale Bücher schätze ich sehr, weil der Akku dauerhaft hält und die Haltbarkeit Jahrhunderte überdauern kann. Ich hab' zwar viele Zeitungen digital abonniert, die ich auf einem Tablet lese, aber Bücher lese ich in gedruckter Form und nicht als e-Book.

In einem Interview von Ihrem Kulturausschuss ist zu lesen: Ein wichtiges Thema ist für uns die kulturelle Bildung, weil sich Kultur nicht von selbst vermittelt, sondern gelernt werden muss, und zwar von Kindesbeinen an bis ins hohe Alter. Wie lernen Sie, Herr Gradl, Neues dazu?
Ich glaube tatsächlich, dass das Internet zur Demokratisierung des Wissens beigetragen hat. Man muss heute nicht das Geld haben, um sich einen Brockhaus leisten zu können, oder das Glück haben, dass die Eltern einen im Regal stehen haben. Sondern das Abrufen des kollektiven, durch das Internet entstandenen Wissens, zum Beispiel Wikipedia, reicht. Das wird viel kritisiert, und man fragt sich, ob die Qualität wirklich so gut ist, aber man sieht auf der Seite, dass es sehr stark angenommen wird. Insofern glaube ich, dass das Internet dazu beiträgt, Wissen zu übermitteln an zukünftige Generationen und Wissen überall verfügbar zu machen. Das ist eine interessante Entwicklung, wie auch die Geschichte der Bibliotheken ist, dass sie eigentlich Wissen kollektiviert haben. Ich kann dort hingehen, kann Bücher ausleihen und diese tagelang lesen. Insofern ist das eine große Herausforderung für Bibliotheken, dass das Produkt, das die Bürger von der Bibliothek erwarten, nicht unbedingt das Buch ist, was im Regal steht, sondern es ist die Verfügbarkeit von Wissen, dass ich etwas finden kann und dass ich sofort darauf zugreifen kann.

Wir von Bücher und mehr e.V. fragen Sie: Stadtbibliotheken, die einen kulturellen Auftrag haben, und der Volkskultur bez. der Bildung dienen, werden selbstverständlich hingenommen. Was sollte geschehen, um auf diese Angebote hinzuweisen und sie zu Mittelpunkten zu machen?
Die Aufgabe der Bibliothek ist es, die Bürger und Bürgerinnen dieser Stadt einfach heranzuführen, wie sie das für sie notwendige Wissen finden können. Ob das Wissen eine entsprechende Internetseite ist, oder ob es dieses oder jenes Buch gibt. Es ist nicht relevant, in was das Wissen gespeichert ist, aber die Bibliothek muss mir helfen, dieses Wissen zu finden. Die kommunale Bibliothek sollte alle Altersgruppen ansprechen. Und Bibliotheken sollten auch dem Nutzer den Brückenschlag in ein digitales Zeitalter ermöglichen und die unterschiedlichen Medien im gleichem Maß zugänglich machen. Das ist sicher eine Herausforderung, vor der Bibliotheken stehen, dass es nicht eine Teilung geben darf, bei der man hier irgendwann das Internet hat und dort die verstaubte Bibliothek.

Herr Gradl,
wir bedanken uns für das aufschlussreiche Gespräch.



©Steffi M.Black 2013(Text u.Bild)