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Gespräche



 15.10.2014 - Hans Pleschinksi - Autor  



Hans Pleschinski

Hans Pleschinski
ist Autor vieler Romane und Übersetzer aus dem Französischem. H.P. lebt in München und erfreute jüngst sein Publikum mit dem Thomas Mann Roman \"Königsallee\"


\"Werden und wollen\"
verspricht ein früher Titel von Ihnen aus dem Haffmanns Verlag. Ein Dokument über den Literaturbetrieb. Wollten Sie immer schon Schriftsteller werden?

Seit meinem 14. Lebensjahr wollte ich Schriftsteller werden. Meine erste Tat als Schüler in der Lüneburger Heide war es, historische Romane umzuschreiben. Das heißt, ich habe andere Orte und Personennamen eingefügt. Das hat mir Spaß gemacht. Mit 16 probierte ich es dann, \'Maximen und Reflektionen\' zu schreiben, was eigentlich von Goethe stammt. Das wußte ich nicht einmal. Von dem Wunsch, ein Leben als Schriftsteller zu führen, bin ich nicht abgerückt. Das war mein bleibendes Ziel seit frühester Jugend.

Herr Pleschinski, Sie sind Chevalier des Arts et des Lettres.
Das ist ein Ritterorden, und diese Ehrung wurde Ihnen durch das französische Kulturministerium zuteil. Es ist kein Geheimnis, dass Sie die französische Sprache nicht nur beherrschen, sondern auch sehr lieben. Für was wurden Sie geehrt?

Französisch war für mich wie ein Tor zur Welt. Die französische Kultur hat mich immer wieder fasziniert. Ich habe auch Französisch studiert. Vor 25 Jahren fing ich aufs Geratewohl an, den Briefwechsel zwischen Voltaire und Friedrich dem Großen zu übersetzen. Vorher gab es keine Übersetzungen ins Deutsche. Die 600 Seiten wurden ein Erfolg, und seither habe ich französische literarische Schätze der Kultur für deutsche Leser zugänglich gemacht, zum Beispiel die Briefe der Madame de Pompadour oder das Tagebuch des Herzogs von Croy. Wohl dafür hat mir die Republik Frankreich einen Orden verliehen.
Übrigens ein sehr schöner Orden, grün und silber, er wurde mir in der französischen Botschaft überreicht. Ich freue mich sehr über diese Auszeichnung, denn wie kann man sonst noch Ritter werden?

Ihr literarisches Schaffen wird mit sehr vielen Auszeichnungen gewürdigt. Aber um Himmels Willen, wieso oder für was haben Sie einen Hungertuch-Preis erhalten?
Der Name dieses Preises macht mich auch nicht glücklich, obwohl er aus dem Mittelalter herrührt, mit dem Fastentuch auf dem Altar zu tun hat. Der Schriftstellerverband Hessen und die Stadt Frankfurt verleihen oder verliehen diesen Preis jedes Jahr zur Buchmesse für ein Erstlingswerk. Der Preis soll Debütanten unterstützen und ihnen öffentliche Aufmerksamkeit verschaffen.

In München sind Sie \"Daheim\" und doch sehr gerne auch in Frankreich, oder?
In Frankreich bin gar nicht so oft, das Übersetzen aus dem Französischen besagt nicht unbedingt, dass man oft in Frankreich weilt. Bis 1995 war ich sehr häufig zu Kurzbesuchen in Frankreich, ich lebte auch in der Bohème von Paris. Die Stadt habe ich aber lange Zeit gemieden. Es waren dort zu viele Freunde gestorben.

Im Jahr 2004 waren Sie Stadtschreiber in Jordaniens Hauptstadt Amman. Stadtschreiber in einem heißen Wüstenland. Kommt man da zum Schreiben?

Ja, ich war und bin Stadtschreiber von Amman. Der Titel bleibt, das finde ich sehr angenehm. Es war eine vorzügliche Initiative des Goethe Instituts und des Senders ARTE, die mehrere deutsche Schriftsteller in arabische Hauptstädte geschickt haben, um dort Tagebuch zu führen. Ich wurde für Amann ausgesucht. Man durfte keine großen arabischen Erfahrungen haben, um möglichst unvoreingenommen über die Eindrücke dort zu schreiben. Amman gilt zwar als langweilig, das Bielefeld des Orients, aber für mich war es höchst spannend. Es waren erste Berührungen mit arabischer Kultur.Jordanien ist ein verhältnismäßig liberales Land. Das Internettagebuch stand am nächsten Tag auf Deutsch und Arabisch im Netz. Es wurde sehr viel gelesen und hatte immense Abrufe pro Tag. Ich habe ein sehr gastfreundliches Volk erlebt, ebenso die Schwierigkeiten wahrgenommen, welche die strenge, verkrustete Religion mit sich bringt. Man trifft im Jordan-Tal auf 5000 Jahre Kultur, und vieles ist überwältigend. Die Eindrücke versuchte ich im Tagebuch und in Rundfunksendungen zu fassen.

Vor zehn Jahren gab es hier in München ein Bürgerbegehren zum Erhalt der Münchner Stadtbibliotheken. Sie haben mit einer Lesung diese Initiative unterstützt. Erinnern Sie sich noch daran, mit welchem Beitrag Sie dabei waren?

Vermutlich habe einige Passagen aus einem neuen Roman gelesen, die explizit mit der Rettung von Kultur zu tun haben . Vielleicht aus Brabant. Roman-zur-See.

Herr Pleschinski, Bücher von Ihnen erscheinen in unregelmäßigen Abständen, obwohl in manchen Jahren gleich mehrere veröffentlicht wurden. Wie lange haben Sie an ihrem Thomas Mann-Roman \"Königsallee\" gearbeitet?
Bücher sollen unregelmäßig erscheinen, hoffentlich bei jedem Autor, denn ein Autor ist keine Legebatterie. An meinem Roman Königsallee habe ich zweieinhalb Jahre gearbeitet. Ich fand unbekannte Dokumente zu Thomas Mann und seinem Geliebten Klaus Heuser, über den ich etliches recherchieren musste. Dann das Gesamtwerk der Familie Mann lesen. Das Schreiben selbst war für mich ein spannender Prozess. Die Niederschrift ging recht flüssig vonstatten. Projekte, die ich angefangen habe, will ich - wie eine Schlinge um den Hals - auch schnell wieder loswerden, um wieder atmen zu können und frei zu sein.

In Ihrem Roman \"Königsallee\" beschreiben Sie die Begegnung von Thomas Mann mit seiner Vergangenheit so einfühlsam, so real, als wären Sie dabei gewesen - besteht da eine Wahlverwandtschaft?
Eine Wahlverwandtschaft mit Thomas Mann: Nein. Erstens wäre es größenwahnsinnig und zweitens nutzlos. Drittens lebt jeder in seiner Zeit. Thomas Mann bedeutet mir allerdings viel, seine humanistischen, zivilen Botschaften in seinen Büchern, in seinen Vorträgen, sein unglaublicher Bildungsschatz, von dem man weiterhin profitieren kann, - insofern ist er für mich immer von großer Bedeutung und immer präsent gewesen. Wenn man ein Gespür für ein vibrierendes Wesen bekommt, kann es einem gelingen, dessen Gedanken oder Sprache ein wenig nachzuvollziehen.

Das Buch \"Königsallee\" hat uns LeserInnen sehr beeindruckt. Sind Personen aus dem Roman auch in Ihrem Träumen erschienen?

Vielleicht die Person Anwar Batak Sumayputra. Er wäre eine reizvolle Erscheinung, wenn sie in den Träumen auftaucht. Gottseidank ist Thomas Mann nicht in meinen Träumen erschienen, das wäre zu viel. Es reicht, zweieinhalb Jahre mit ihm zu arbeiten, dann ist auch eine nächtliche Pause willkommen.

Mit diesem Buch waren Sie sehr lange auf Lesereisen. War das anstrengend?

Ja, bis zum physischen Zusammenbruch, wenn man in 15 Tagen in unterschiedlichen Städten 13 Lesungen hat, von Rostock nach Trier, von Trier nach Dresden reist, von da nach Kiel usw. Das ist schon ein absurder Zustand, man bewegt sich wie außerhalb aller normaler Welt und Zeit. Doch es hat auch einen Sog, wenn es dann mit Applaus verknüpft ist. Ich sehe in Lesungen einen wichtigen Auftrag für Schriftsteller, dass man seinem Publikum etwas vermitteln kann und darf. Mit der Königsallee hatte ich bisher ungefähr achtzig Lesungen.

Eine Lesereise nach Russland haben Sie abgesagt?

Nein, ich hatte zwei Lesereisen nach Russland und Sibirien mit grandiosen, starken Eindrücken. Ich fand ein freundliches Publikum, ein großes Publikum vor. Viele junge Leute sind zu den Lesungen gekommen. In Nowosibirsk waren es 400 Menschen.

Wow, das übertrifft sogar das Literaturhaus hier in München!


...vor anderthalb Jahren gab es die Meldung, dass mein Roman Bildnis eines Unsichtbaren, ins Russische übersetzt, in Russland verboten wurde. Es geht in diesem Roman um Münchner Bohème, das Schwul-Lesbische Leben in München. Der Roman war recht erfolgreich in Russland, aber Zensur und Buchverbot alarmierten mich massiv. Nun muß man sehen, ob es wieder Freiheit in Rußland geben wird und ein Auftritt möglich ist.

Im Ihrem Roman \"Bildnis eines Unsichtbaren\", ein mitreißendes Buch über eine große Liebe, steht der Satz, der mich sehr beeindruckt hat: Die Kunst umspielt Wahrheit ... viele Augenblicke werden ein Gewebe. Ist das Ihre Philosophie beim Schreiben?
Zwangsläufig, es ist ja auch ein Bild für das Leben selbst. Man selbst befindet sich in einem Gewebe von Eindrücken, Erkenntnissen, Mutmaßungen, und diese Struktur des Menschen, des Hirns, der Seele spiegelt sich in den Büchern wieder, wobei die Suche nach Wahrheiten oder Erkenntnissen nur einen Teil der Literatur ausmacht. Literatur muss Handlung haben, farbige Charaktere, und Dramaturgie ist unverzichtbar.

Sie schreiben so viele beeindruckende Bücher, welche wichtigen Autoren und literarische Highlights gab es für Sie selbst?
Viele. In unterschiedlichen Lebensphasen gab es auch unterschiedliche Autoren. Hermann Hesse war für mich in der Pubertät ein Schlüssel zu Sinnlichkeit. Hesse setzte viele Kräfte frei. Thomas Manns Bekenntnisse des Hochstaplers Felix Krull waren für mich so fesselnd, geistreich und charmant, dass ich per Interrail eine Reise auf den Spuren von Felix Krull gemacht habe. Bis in die portugiesische Revolution von 1974 hinein. Es gibt bleibende Gottheiten in der Literatur, zum Beispiel Flaubert, Voltaire. Die Literatur ist so reich, dass sie immer überraschen und beschenken kann.

Es gibt ein Buch von Ihnen \"Verbot der Nüchternheit\"
(Kleines Brevier für ein besseres Leben, München 2007). Verraten Sie uns, wie dürfen wir das verstehen?

Es ist eine Sammlung von Erzählungen. Das Verbot der Nüchternheit ist ein Aufruf gegen eine Leistungsgesellschaft, eine Zwangsgesellschaft mit einem neuartigen Tugendterror: Rauchverbot, bald sicher Alkoholeinschränkungen, eine gezüchtete, ewig gesunde Menschheit, die an ihrer Fadheit ersticken könnte. Ich stehe für ein fulminantes und auch beschwipstes Europa. Europa wurde groß im Rausch und nicht in der neu-kalifornisch-arabischen Nüchternheit. Die auch ein Fanatismus ist.

Oft fühlt man sich als Leser mit den Figuren eines Buches vertraut, oder gar verwandt. Möchte manchmal gerne dabei gewesen sein.
Als Sie das Buch \"Nie war es herrlicher zu leben. Das geheime Tagebuch des Herzogs von Croÿ\" aus dem Französischem übersetzt haben, wären Sie da gerne ein Musketier gewesen?

Ja, mit jungen Musketieren hätte man Paris aufmischen können. Aber denkt man an vergangene Zeiten, dann schnell auch an Zahnweh, mangelhafte Medizin, und man bleibt doch dankbar in der Gegenwart. Wenn Leben in der Vergangenheit, dann nur in der Hocharistokratie, für ein Weilchen. Für mich gibt es aber im Grunde kaum Vergangenheit, sondern nur abwesende Gegenwart. Madame de Pompadour, Voltaire, der Herzog von Croÿ sind für mich insgeheim lebendig. Ich habe nie das Gefühl, dass Zeiten restlos vorrüber sind. Vergangenheiten leben als unsere Wurzeln und formen unsere Identität mit.

Herr Pleschinski,
Ihr Buch \"Ludwigshöhe\" ist ein besonderes Buch. Geschwister erben eine Villa, aber nicht als bequemen Alterssitz. Das Leben in der Villa müssen sich die Geschwister mit lebensmüden Menschen teilen. Was hat Sie zu diesem Roman inspiriert, haben Sie eine Villa geerbt?

Leider nein. Dieser Roman über Lebensmüde hat mich schon als junger Mann beschäftigt. Damals hatte ich aber nicht die innere Kraft oder Reife, darüber schreiben zu können. Es blieb bei Fragmenten. Im Laufe des Lebens lernt jeder Mensch Momente kennen, wo die Kräfte zu versagen scheinen, wo die Verzweiflung absolut zu werden droht. Dieses Thema blieb für mich immer präsent. Im Roman Ludwigshöhe, mit seinen lebensmüden Menschen, konnte ich Grenzbereiche des Lebens erkunden. Was geht in Menschen vor, die nicht mehr weiter wissen. Woher kann Hoffnung kommen? Ludwighöhe ist ein Labor für extreme Emotionen. Der Stoff war für mich magnetisch. Dieser Roman soll in Abgründe führen, die jeder in sich hat, und er kann vielleicht gestärkt wieder empor steigen.

Noch eine Frage, waren Stadtbibliotheken wichtig für Sie?

In meiner Kindheit sehr wohl. Die Stadtbücherei meines Heimatortes Wittingen, wo ich neben den Büchern , die mir mein Patenonkel schenkte, meine Lektüre auslieh. Eine kleine Bücherei mit zwei behaglichen Räumen, wo ich viel Zeit verbrachte, blätternd oder lesend. In München nutzte ich als Student vornehmlich die Universitätsbibliothek. Stadtbibliotheken habe ich immer gefördert.

Wie empfinden Sie die Münchner Stadtbibliotheken heute? Haben Sie eine Begebenheit, die Sie in besonderer Erinnerung behalten?
Ich gehe hin und wieder in den Gasteig, dort kann ich die größte deutsche Stadtbibliothek nutzen, und daß sie sich in München befindet, macht mich stolz.

Herr Pleschinski, sicher haben Sie ein weiteres Buch in Arbeit.
Dürfen wir erfahren, auf was wir uns freuen werden?

Ja, ich wechsle gerne zwischen Romanen und eher Sachbüchern. Ich habe Memoiren einer jüdischen Bankierstochter aus dem 19. Jahrhundert überlassen bekommen, die ich jetzt bearbeite und herausgebe. Es gibt nicht viele Frauen-Memoiren aus dem 19. Jahrhundert. Das Leben der hochkultivierten Dresdnerin ist besonders fesselnd, da sie in einem künstlerischen, mäzenatischen Haushalt an der Elbe und in Düsseldorf lebte, und weil sie die Belle Epoche der Gründerzeit in Deutschland schildert. Es bedeutet viel Arbeit, es wird von vielen Menschen erzählt, über die ich mich noch intensiver informieren muss. Die ganze Münchner Künstlerschar jener Epoche ist in der Dresdener Villa zu Gast. Dies Forschen bereitet mir jedoch Freude, es zeigt sich plötzlich ein ganz anderer Lebensstil als unser heutiger. Viel geselliger. Nun, ich versuche das Leben der reizenden Bankierstocher für den Leser zu erkunden und geschmeidig lesbar zu machen.

Herr Pleschinski, wir freuen uns auf diese Begegnung mit der „abwesenden Gegenwart“, und dass wir Ihre Romane in den Stadtbibliotheken finden.
Wir danken Ihnen für das Gespräch.


© Steffi M.Black 2014 (Text)
© C.H.Beck Verlag München (Bild)