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Gespräche



 23.06.2017 - Autorin Cordula Zickgraf 



Cordula Zickgraf

Cordula Zickgraf,
ist Autorin und gelernte Krankenschwester. Als Krankenschwester schrieb sie mit dem Buch “Ich lerne leben, weil Du sterben musst“
(Allitera Verlag) ein Grundlagenbuch, das heute noch von vielen Krankenschwestern gelesen wird und der Stoff trägt zu Diskussionen bei.

Frau Zickgraf,
vor mehr als dreißig Jahren schrieben Sie das Buch “Ich lerne leben, weil Du sterben musst“ (Allitera Verlag). Das Buch ist auch heute nach so langer Zeit noch im Buchhandel erhältlich und kann in den Stadtbibliotheken ausgeliehen werden. Ein gewagter Titel, man könnte auch sagen, es ist ein provokanter Titel.

Es war mir ein Bedürfnis als junge Schwesternschülerin meine Erfahrung mit der schwerkranken Aranka aufzuschreiben Das Buch hat ja den Untertitel: „Ein Krankenhaustagebuch“. Ich war damals selbst Patientin, lag Tag und Nacht mit Aranka in einem Krankenzimmer. Nach dieser Erfahrung habe ich früh die Entscheidung getroffen, mich ganz bewusst den Schwerkranken und Sterbenden zu widmen. Arankas Kranken- bez. Sterbensgeschichte hat mich stark geprägt und mir trotz aller Tragik Lebensmut gegeben.

Es gibt einen Film, der heißt „Aranka.“ Ist das die Geschichte aus dem Buch?
Ja, das Buch ist verfilmt worden. Genial gespielt mit der jungen Suzanne von Borsody und Anke Sevenich. Der intensive Dialog zwischen Aranka und der Schwersternschülerin wurde hervorragend dargestellt.

Waren Sie bei den Filmaufnahmen dabei?

Frau Zickgraf schmunzelt: „ Ja manchmal. Einmal durfte ich bei den Dreharbeiten wie Hitchcock durch eine Szene huschen.“

Sie haben weitere Bücher geschrieben und immer wieder Mängel und Unzulänglichkeiten im Krankenhaussystem erwähnt. Was stört Sie?
Der Pflegeberuf ist einer der wichtigsten Berufe, aber er sollte von intelligenten und motivierten Menschen ausgeführt werden.

Wie meinen Sie das, mit Abitur?

NEIN, ich meine, es sollte eine Herzensbildung, also eine positive Grundeinstellung zum Menschen mitgebracht werden. Alte oder demente Menschen darf man nicht anraunzen oder wie ein Stück Vieh behandeln. Auf den Stationen geht es oft sehr unwürdig zu.
Ich habe Claus Fussek kennengelernt, der ist seit über 30 Jahren engagiert und setzt sich für bessere Pflege in den Altenheimen ein. Er kritisiert und macht auf Missstände aufmerksam.
Claus Fussek kann ich nur voll und ganz unterstützen. Ich selbst bin auch immer wieder in Heime gegangen, habe verheerende Zustände gesehen und darüber berichtet.
Wie zum Beispiel in einem offenen Brief an den Ministerpräsidenten Horst Seehofer. Getan hat er nichts, aber immerhin erschien im Münchner Merkur ein Artikel zu meinem Brief und das war gut so. Krankenpfleger, Altenpfleger sind so wertvolle Kollegen, aber wenn unfähige Leute eingestellt werden, schadet das nicht nur den Alten oder Kranken, auch unserem Berufsstand.
Billige Arbeitskräfte, die kaum deutsch sprechen und auch sonst keine Ahnung haben, auf pflegebedürftige, hilflose Menschen loszulassen, finde ich im höchsten Maße verantwortungslos. Junge Menschen müssen zum Pflegeberuf motiviert werden, das bedeutet aber auch, dass sie besser bezahlt werden.
Sie müssen von Ihrem Gehalt in einer Stadt wie München leben können. Mich dürfen Menschen, egal welche Hautfarbe sie haben pflegen, aber sie müssen mich verstehen, also meine Sprache sprechen. Sie müssen für die Pflege ausgebildet sein und mich so behandeln, wie sie eines Tages selbst behandelt werden wollen, wenn sie nicht mehr für sich selbst sorgen können.

Frau Zickgraf, dann entstand ein weiteres Buch „Mit einem Bein im Leben“ (DTV junior Verlag)
Genau, das entstand, als ich als Krankenschwester auf einer Unfallstation gearbeitet hatte. Ein Kind erlitt einen schweren Unfall. Ein Bein musste amputiert werden. Die Eltern des Kindes waren ratlos, weil sie nicht wussten wie sie ihrem Kind Trost über den Verlust des Beines geben konnten und die Situation war mehr als hilflos.

Ich finde dieses Buch wunderbar geschrieben. Sie beschreiben sehr eindrucksvoll die innere Trauer über das verlorene Bein, alle Höhen und Tiefen dieses jungen Lebens bis zum neuen Lebensmut. Und das die Jugend von damals kein Handy hatte, um sich zu verständigen, fällt dem Leser nicht auf. Wo ist der Unterschied, ob Mann/Frau 1990 ein Bein verliert oder 2017? Das Bein ist ab, mit und ohne Handy. Die Seelenqualen bleiben gleich. (Das Buch ist in der 7. Auflage)

In einem anderen Buch von Ihnen: „Der Sohn des Piloten“ (BoD Verlag/Allitera) geht es um einen Jungen, der gemobbt wird, weil dessen Vater Soldat ist. Wie ist dieses Buch entstanden?
Zu einem hatte sich mein Sohn beschwert, dass ich immer Mädchen als Hauptfiguren gewählt habe, ich sollte auch mal Jungen nehmen. Und des Weiteren sind Anfeindungen unter Kindern nach wie vor verbreitet. So entstand die Geschichte eines Jungen, der sehr musikalisch ist und dessen Vater einer der ersten gewesen war, der in den Krieg ziehen musste. Der Junge leidet unglaublich unter den Anfeindungen in der Schule. Das Buch soll aufrütteln und nicht abschrecken.

Abschrecken? Warum, ist doch wichtig zu erfahren, welche Schicksale die anderen Kinder haben.
Das meine ich ja auch, Mobbing, wo immer das stattfindet, muss unterbunden werden. Mobbing ist nach wie vor ein heißes Thema, ob Schule, ob Betrieb, ob Militär. In meinem Buch: „Der Sohn des Piloten“ (BOD/Allitera Verlag) gab es zwar noch kein Internet und Handy, trotzdem wurde wild gemobbt.

Dieses Buch ist nach wie vor sehr aktuell.

Damals in den 90er Jahren war das eine riesen Geschichte, es sollten während des Golfkrieges deutsche Soldaten an der Grenze der Türkei zum Irak eingesetzt werden. Die Geschichte spielt in Oldenburg u.a.im Fliegerhorst. Zur Recherche bin ich dort hingefahren, die damalige Ministerin musste mir erst die Genehmigung erteilen um mit den Soldaten im Fliegerhorst zu sprechen. Ich interviewte ein junges, sehr nettes Ehepaar mit kleinen Kindern, nicht ahnend, dass mein Gesprächspartner der später bekannte Astronaut Thomas Reiter war. Ich konnte erfahren, wie problematisch es damals war, wie die Kinder der Soldatenfamilien angefeindet wurden.

Sie wollen immer aufdecken und spüren, wo es klemmt. Wie stemmen Sie das im Alltag?
Ich würde mich zu Tode langweilen, wenn ich nicht noch was anderes, Wichtigeres zu tun hätte. Ich fühle mich in meinem Beruf als medizinische Fachangestellte nicht ausgelastet. Den Krankenpflegeberuf musste ich leider wegen des Rückens aufgeben. Und wenn man die Gabe hat sich für andere Menschen, die es selbst nicht können, einzusetzen, dann muss man es auch tun und das macht Sinn.

Sie sind mit dem Zeichner und Grafiker Wilfried Blecher zusammen. Ich erinnere mich gerne an das tolle Klappbuch „Kunterbunter Schabernack“, bei dem Groß und Klein „tierische“ Freude haben. Sie haben mit Wilfried Blecher ein „Licht und Schattentheater“ gegründet. Was macht so ein Theater?
Unser Theater erzählte u.a. Geschichten aus dem Leben. Zum Beispiel „Szenen gegen Gewalt, Mobbing am Arbeitsplatz. Aber wir spielten auch zu Texten von Kurt Schwitters, Erich Kästner, Bertold Brecht u.v.a. mehr. Wilfried Blecher gestaltete Figuren aus Papier, Draht und Farbfolie und diese wurden im dunklen Raum lebendig. Leider wurde Herr Blecher nach einer missglückten Staroperation fast blind und wir konnten das Theater nicht mehr weiter führen.

Wie geht es in Ihrem Leben weiter?

Ich möchte gerne Gesprächsrunden für Mitarbeiter ,z.B. in Seniorenheimen, organisieren, wo man offen reden und wo auch Kritik eingebracht werden kann. Ich möchte bald in Rente gehen und endlich wieder schreiben und außerdem werde ich Oma. Ein neuer Lebensabschnitt.
Mir wird von Tag zu Tag die eigene Endlichkeit bewusst. Jetzt heißt es, das Bestmögliche aus dem Lebensrest zu machen. Tagtäglich sehe ich alte Menschen auf der Straße und in der Praxis. Alle waren auch mal jung, konnten sich das Altsein nicht vorstellen und plötzlich wird man mit dem Unausweichlichem konfrontiert. Wie werde ich eines Tages alt aussehen? Die Frage stelle ich mir oft. Werde ich eine positive Alte wie meine Mutter oder werde ich eine an allem nörgelnde, unerträgliche Schreckschraube. Ich versuche jetzt daran zu arbeiten um eine fröhliche und freundliche Alte zu werden. Ob mir das gelingt – das weiß ich nicht.

Frau Zickgraf, wir wünschen Ihnen für Ihre Vorhaben, die beeindruckend sind, viel Unterstützung, und freuen uns von Ihnen zu hören. Vielen Dank für das Gespräch.

©Steffi.M.Black 2017(Text)
©privat C.Zickgraf (Bild)