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Gespräche



 08.05.2020 - Das Gespräch mit Lioba Betten 



Autorin Lioba Betten

Lioba Betten ist gelernte Bibliothekarin. Sie ist vielseitig um und für das Buch engagiert, zunächst für Kinder- und Jugendliteratur und – später als Verlegerin – für Sachbücher zum Münchner Stadtgeschehen.
In den 1990er Jahren leitete sie das internationale Projekt BÜCHER FÜR ALLE zum Aufbau von Kinder- und Jugendbibliotheken in Entwicklungsländern, das mit vielen Vortragsreisen verbunden war. Dafür bekam sie 2006 das Bundesverdienstkreuz. Daneben war sie Mitglied der Ausschüsse „Kinderbibliotheken“ und „Multikulturelle Dienste in Öffentlichen Bibliotheken“ der Vereinigung Internationaler Bibliotheksverbände (IFLA), Den Haag. Beim Münchner Förderverein Bücher & mehr e.V. ist sie Gründungsmitglied.

„Die Münchner Friedhöfe - Wegweiser zu Orten der Erinnerung“
ist der Titel Ihres Buches, das im MünchenVerlag erschienen ist. Die Münchner Friedhöfe sind für Sie Orte der Erinnerung und ein Eintreten in eine andere Welt. 29 Friedhöfe sind darin enthalten, sie alle gehören zur Kulturgeschichte unserer Stadt. Die meisten sind als Parkanlagen grüne Oasen.
Frau Betten, Sie haben mit Ihrem Mann, dem Fotografen Jürgen Betten, die Friedhöfe besucht und daraus ein informatives Buch gemacht. Thomas Multhaup hat als Co-Autor daran mitgewirkt. Es ist eine Art Geschichtsbuch geworden und zeigt besonders Persönlichkeiten, die Münchner Kultur mitgeprägt haben. Wie geht es Ihnen als Autorin eines Buches über Friedhöfe in Zeiten von Corona?

Das ist für mich zweierlei. Einerseits denke ich gerade jetzt oft an die traurigen Beerdigungen, die bedauerlicherweise ohne Angehörige und Freunde stattfinden müssen. Die andere Seite ist die, dass Friedhöfe eine wunderbare Möglichkeit bieten, mich zu einem Spaziergang aufzumachen, mich mit meinen Gedanken zu beschäftigen oder einfach die Umgebung des Friedhofs und Parks auf mich wirken zu lassen.

Es gefällt mir sehr, dass Sie die Münchner Friedhöfe in Form von Spaziergängen beschreiben. Wie sind Sie dazu gekommen?
Das hat damit zu tun, dass ich seit langer Zeit Führungen über einige Friedhöfe mache. Da muss ich mir immer überlegen, wie ich über die einzelnen Friedhöfe gehe. Diese Führungen gehen über den Alten Südlichen Friedhof und über den Alten Nördlichen Friedhof, auch über unseren größten Friedhof, den Waldfriedhof.
Kleinere Friedhöfe wie Neuhausen, Nymphenburg, Bogenhausen oder Sendling werden auch besucht. Ich überlege mir immer einen „maßgeschneiderten“ Rundgang, bei dem ich möglichst viele Gräber zeigen kann, Gräber von bekannten oder weniger bekannten Menschen, Grabmale mit schönen Steinen oder besonders gepflegte Gräber und ich weise immer auf Besonderheiten hin. Das Konzept der Rundgänge habe ich zusammen mit Thomas Multhaup für alle Friedhöfe in unserem Buch entwickelt.

Unsere heutige Gräberkultur ist nüchtern geworden, und Grabsteine spiegeln unsere Kultur wider. Welche Bedeutung haben die „Alten Friedhöfe“?
Die drei historischen Friedhöfe Münchens - der Alte Südliche Friedhof, der Alte Nördliche Friedhof und der Alte Israelitische Friedhof - sind gewachsene Anlagen. In ihnen sind bedeutende (Ehren-)Bürger der Stadt beerdigt worden, deren Gräber heute noch zu sehen sind. Vor allem sind dies Architekten, Wissenschaftler, Künstler, Schauspieler, Bierbrauer und Politiker.

Gab es diese drei Friedhöfe gleichzeitig?
Nein, der Alte Südliche Friedhof ist der älteste, er wurde 1563 angelegt. Der Alte Israelitische Friedhof wurde 1816 errichtet. In der Mitte des 19. Jahrhunderts wurde der Alte Nördliche Friedhof geplant - als der Südliche Friedhof keinen Platz mehr für Gräber bot. Die Entwicklung der Stadt war damals enorm, sie hatte zu der Zeit einen riesigen Bevölkerungszuwachs.

Der Bogenhausener Friedhof, einst ein Dorffriedhof, wurde durch prominente Künstler, die dort zu Grabe getragen wurden, ein Spiegelbild der Münchner Kultur und Geistesgeschichte. Zu ihren Lebzeiten sorgten die Künstler für Unterhaltung, Witz und Geist. Einige Gräber sind regelrechte Pilgerstätten geworden, zum Beispiel die von Monaco Franze (Helmut Fischer), von Rainer Werner Fassbinder oder vom Karikaturisten Ernst Hürlimann. Wer war die letzte Berühmtheit, die dort begraben wurde?
Soweit ich mich jetzt erinnere wurden um 2015 der Filmregisseur Helmut Dietl und die Schauspieler Rolf Boysen und Margot Hielscher in Bogenhausen bestattet.

Empfinden Sie Melancholie, wenn Sie Friedhöfe besuchen?
Nein, im allgemeinen nicht, eher wenn ich zu einer Beerdigung gehe. Für mich sind Friedhöfe Orte zur Erholung, Ruhe oder Meditation, eigentlich ist es das Genießen der Natur und der Schönheit, die auf Friedhöfen anzutreffen sind.

Als Sie für dieses Buch recherchiert haben, mit wem haben Sie Kontakt aufgenommen?
Zuerst habe ich mit der Verwaltung der Städtischen Friedhöfe Münchens Kontakt aufgenommen. Ich habe mich viel im Stadtarchiv aufgehalten, auch in der Monacensia. Da ich aber schon seit 1990 eine eigene Sammlung von Beiträgen über die Münchner Friedhöfe angelegt habe, sah ich diese durch, und natürlich bin ich selbst auf die Friedhöfe gegangen um die Wege für das Buch festzulegen, bestimmte Gräber zu finden und meinem Mann beim Fotografieren zu „assistieren“.

In Ihrem Buch sind in alphabetischer Reihenfolge viele Persönlichkeiten aufgelistet, die über die Jahre in den Münchner Friedhöfen ihre Ruhestätte fanden. Die Ortsangaben der Gräber machen es leicht, sie zu finden. Berührend ist die Entdeckung, dass es ein Gemeinschafsgrab für BISS-Verkäufer der Münchner Straßenzeitung gibt. Wer pflegt dieses?
Es wird vom Verein BISS und dessen Mitgliedern gepflegt.

Frau Betten, mit Ihrem Buch „Die Münchner Friedhöfe“ machen Sie auch besondere Orte sichtbar, die Gräberanlage der Bayerischen Polizei, die für Föten und tot geborene Kinder und Muslimische Gräberfelder. Was kann man noch auf den Friedhöfen entdecken?
Man kann zum Beispiel auf dem Friedhof am Perlacher Forst die Gräber der Mitglieder der Weißen Rose finden, dann gibt es auch dort weitere Gräberanlagen für Gefallene und Zwangsarbeiter während des Zweiten Weltkriegs. Auf dem Nordfriedhof gibt es eine große Anlage für Luftkriegsopfer in München. Auf dem Waldfriedhof, im Neuen Teil, gibt es Bäume, die für Urnen vorgesehen sind, also für die sogenannte „Baumbestattung“. Etwas ganz besonders ist seit 2015 auf dem Westfriedhof zu sehen, die „Mosaikgärten“, das sind künstlerisch und gärtnerisch gestaltete Urnengemeinschaftsanlagen.

Wären Friedhöfe der Ort, um mit Stolpersteinen und anderen Symbolen als Erinnerungszeichen und Mahnung der Verbrechen der Nationalsozialisten an Juden und anderen Verfolgten zu gedenken?
Es gibt einige Gedenkstätten auf den Friedhöfen, die sich der vergangenen, schlimmen Zeit widmen. Auf dem Neuen Israelitischen Friedhof befindet sich seit 1946 ein Mahnmal, das an die jüdischen Bürger und Bürgerinnen Münchens erinnert, die durch den Holocaust ums Leben kamen.

Kann man von einem Spaziergang über einen Friedhof etwas lernen?
Ja, da sind für mich zwei Friedhöfe ganz besonders wichtig. Für das Historische ist der Alte Südliche Friedhof das Geschichtsbuch Münchens, ein Freilichtmuseum sozusagen. Da finden wir die Gräber „wichtiger“ Persönlichkeiten, die im 18. und 19. Jahrhundert lebten und die Stadt voran brachten.
Der Friedhof am Perlacher Forst bietet vor allem eine Geschichtsstunde zur Zeit des Nationalsozialismus und des Zweiten Weltkriegs.

Betrachtet man die alten Friedhöfe, und vergleicht sie mit den neuen Anlagen, bedauert man dann, dass sich der Totenkult geändert hat, oder nicht?

Ja und nein, es gibt viele neue Anlagen, die sehr schön aussehen. Natürlich gibt es auf den großen Friedhöfen Gräberfelder von gleichhohen, kleineren und mittleren Grabsteinen, die von weitem wie uniformiert aussehen. Aber wenn man näher hinkommt, sieht man auch dort das Individuelle, obwohl es bescheidener ist. So großartige Grabanlagen wie die vom Nobelpreisträger für Literatur Paul Heyse und seiner Frau oder solche mit Engelsfiguren gehören einer anderen Zeit an. Heute ist man, glaube ich, nicht mehr so auf die Ewigkeit bedacht.

Poetisch sagte Friedrich Hölderlin: „Es ist schön, dass es einem Menschen so schwer wird, sich vom Tode dessen, was er liebt, zu überzeugen, und es ist wohl keiner noch zu seines Freundes Grab gegangen, ohne die leise Hoffnung, da dem Freunde wirklich zu begegnen.“
Und die Schriftstellerin Colette (1853-1954) zu Maurice Chevalier (Chansonsänger):
„Weißt Du, Maurice, wenn ich einmal in den marmornen Armen von Père Lachaise (der größte Friedhof in Paris) ruhe, dann musst Du zu mir kommen, weil das der beste Ort ist für ein Zwiegespräch mit einem schönen Mann – ein Gespräch über Liebe, Traurigkeit, über die schönsten Menschen und den herrlichsten Frühling der Welt.“
Was ist uns verloren gegangen in Anbetracht dieser Sprüche?

Es ist wundervoll, solche Sprüche zu haben und zu kennen. Doch denke ich eher, dass es eine individuelle Geschichte ist, ob sich Menschen schon vor ihrem Tod Gedanken über das Sterben und über den Ort ihrer Grabstätte machen. Oder ob Leute gar nicht an Tod und Sterben denken, da bleibt es dann den Angehörigen überlassen, um den Toten zu trauern oder ihn einfach nur zu Grabe zu tragen und selten oder gar nicht an das Grab zu gehen.

Frau Betten,
das Buch „Das Schicksal nennt keine Gründe – Grabsprüche auf Münchner Friedhöfen“ erschien vor einigen Jahren, ist auch von Ihnen. Ein Schatz sehr persönlicher Grabsprüche. Tröstlich, und so manche davon sind Volksdichtung:

Wie wenn ein Blatt vom Baume fällt,
So geht ein Leben aus der Welt,
Die Vögel singen weiter.


Wie erfahren wir, wann nach „Corona“ die Spaziergänge über die Friedhöfe wieder stattfinden?
Und wann und wo wird die Buchvorstellung sein?

Veranstaltet von der Münchner Volkshochschule werde ich im kommenden Herbst Führungen über den Waldfriedhof, über den Alten Südlichen Friedhof und über den Alten Nördlichen Friedhof anbieten.
Die Vorstellung unseres Buches soll am Dienstag, 27. Oktober um 19.30 Uhr in der Stadtbibliothek Sendling stattfinden.

Liebe Frau Betten, vielen Dank für das Gespräch.

©Steffi.M.Black 2020(Text)
©Erhan Tezel(Bild)