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Gespräche



 20.03.2021 - Das Gespräch mit Florian Scherzer 



Autor Florian Scherzer

"Zeppelinpost"
ist der zweite Roman von Florian Scherzer im Hirschkäfer Verlag. Mit seinem Nicht-Heimatroman "Neubayern" legte Florian Scherzer im Jahr 2017 ein aufsehenerregendes Romandebüt hin
, dem die Süddeutsche Zeitung eine ganze Seite und das österreichische Literaturmagazin Volltext sogar drei Seiten widmete.
Zum Schreiben kam er, als er eines Tages beim Ausmisten den Roman, den er mit sechzehn Jahren, hochpubertär, geschrieben hatte, wiederfand. Mit Schamesröte im Gesicht las er ihn und dachte: »Das kannst du doch eigentlich besser.«


Fangen wir damit an, dass das Buch Zeppelinpost ein schön gebundenes Buch ist, sogar fadengeheftet in blaue Buchdeckel mit roter Schrift und rotem Buchrücken, weshalb einem das Buch sofort auffällt. Und es ist ein Liebesroman besonderer Art. Es ist eine unglaubliche bis glaubhafte Geschichte, die dann sogar zum Kriminalfall wird.
Herr Scherzer, was hat Sie daran fasziniert, dieses phantasievolle Buch zu schreiben?

Ich hatte einen Artikel über Leute gelesen, die sich falsche Identitäten oder Profile für verschiedenste Apps und Dating Plattformen aufbauen. Das war interessant. Parallel las ich irgendwo, wie in den 1920er und 30er Jahren 3- bis 4-mal am Tag Post ausgeliefert wurde, dass man sich sozusagen wie mit der Rohrpost mehrmals am Tag „Post“ senden konnte, so wie wir es heute mit Emails tun. Ich las einen Artikel über Katapultflüge, das war die schnellere Variante zur Zeppelinpost, mit der man von Köln, München oder Berlin Post nach Amerika schicken konnte, die innerhalb von 24 Stunden dort ankam. Doch die Zeppelinpost ist halt die elegantere Form. Ich mag Hochstaplergeschichten.

Carl ist die Hauptfigur in der Zeppelinpost. Durch einen Brief von seiner Jugendfreundin, die mittlerweile in Brasilien lebt, wird er, wie er meint, aus seinem einsamen Leben und aus seiner vermüllten Wohnung herausgerissen. In seinem Kopf entsteht ein Abenteuer.
Carl ist ebenso attraktiv wie schüchtern, bisweilen auch neurotisch, da macht er seine Wunschgedanken zu seinem Lebensinhalt und schreibt der Freundin das Blaue vom Himmel. Der Leser muss manchmal tief durchatmen, manchmal auch vor Bewunderung bei dem, was alles Carl der Freundin schreibt und beschreibt.
Herr Scherzer, ist Carl eine reine Schriftsteller-Phantasie, oder gab es ihn irgendwo als Vorbild?

Nein, das ist reine Phantasie, die mit dem Schreiben wächst. Ich habe gerne Figuren, die nah daran sind, einen zu nerven und die man erst beim dritten Blick, wenn überhaupt, mögen kann.

In diesem Buch werden Carls Briefe mit dem Zeppelin-Luftschiff hin und her transportiert, das ging ziemlich rasch, heute würde man sagen: gefühlt wie die SMSen in den Anfangsjahren der Handys. Hatten Sie diese Vorstellung als Assoziation beim Schreiben?
Ja, tatsächlich. Wir hängen die ganze Zeit am Handy und verfolgen Nachrichten. Da man damals schon eine Morgen-, Mittags- und Abendzeitung hatte, war man von Informationen und Geschehen in der Welt nicht weit entfernt.

Carl fantasiert sich ein Leben mit einer Freundin zusammen, die er Therese nennt. Erstaunlich, was da zutage kommt. Als seine Brieffreundin nach München kommt, gerät Carl in Schwierigkeiten, und dann wird er auch des Mordes an Therese verdächtigt. Wie geht das denn?
Wie gesagt, ich mag gerne Hochstaplergeschichten, und in den Geschichten versuche ich einen Bruch einzubauen, oder unerwartende Wendungen.

Herr Scherzer, wie kam der erste Absatz in Zeppelinpost zustande? Die erste Seite fängt gut an, überhaupt wurde ich neugierig auf Carls Leben, wie er es veränderte. Ich konnte das Buch nicht in aus den Händen legen, ich dachte an den Baron von Münchhausen, der Sie besucht haben musste. Mir liegt die Frage auf der Zunge, ob Carl auch gerne den Baron von Münchhausen getroffen hätte?
Glaube ich nicht. Münchhausen hatte bewusst Lügengeschichten erfunden, Carl rutscht ja in seine Lügen hinein.

Welche Recherchen haben Sie für das Buch vorgenommen, sind Sie mit dem Luftschiff Graf Zeppelin über den Bodensee gefahren?
Nein, aber ich war im Zeppelin-Museum und im Zeppelin-Archiv. Das war nicht wirklich ergiebig, weil die Hindenburg alles überstrahlte. Die Hindenburg ist quasi das Luftschiff, seit Entstehung der Luftschiffe, aber ich wollte die Handlung des Buches nicht im dritten Reich spielen lassen. Die Graf Zeppelin war vorher da und hatte auch Flugverkehr nach Brasilien. Was sehr ergiebig war, waren die Philatelisten mit Briefmarken aus der Zeit.

Sehr praktisch ist der Stadtplan mit Carls Stationen. Wer sich in München auskennt, erkennt manchen Weg wieder. Hatten Sie Mitleid mit Carl, als er seine verrückte Reise zum Gardasee überstürzt abbrach?
Ja, das war kein schöner Moment, aber Mitleid?

Mei, wie der arme Kerl da im Zug sitzt, tat er mir schon leid.

Welcher Gedanke steckt dahinter, dass Carl im ganzen Buch zu dem Leser spricht? Hier zum Beispiel: „Jetzt fragen Sie sich, woher der Dürrnheimer über solche Lokale Bescheid wusste. Ich habe ganz vergessen zu erwähnen, dass ich natürlich selbst genau jenes Abendessen dort zu mir genommen habe, bevor ich den Brief schrieb. Ich fühle mich in solchen …
Für mich als Autor ist es hilfreicher aus der Ich-Perspektive zu schreiben und sich in die Geschichte hinein zu versetzen.

Was hilft Ihnen beim Schreiben?

Das mich die Geschichte selber interessiert.

Wie lange haben Sie an der Zeppelinpost geschrieben?

So ein dreiviertel Jahr. Das ging für meine Verhältnisse locker, ich komme aber auch aus der Kommunikations-Branche, und da will man die Sachen fertigbringen.

Heutzutage sind an den Universitäten oder in der Mensa Büchertische. Im letzten Jahrhundert um 1930 ‘rum auch? Carl wollte unbedingt dahin.

Im Stadtarchiv gibt es eine Onlinepräsenz mit Bildern, da hab‘ ich Bilder gefunden, wo auf der Ludwigstraße Studenten ihre gebrauchten Bücher verkauften. Carl suchte ja Inspirationen für seine Briefe und stöberte in den Büchern.

Fehlen Ihnen Carl und Therese?

Ja. Ja, sie fehlen mir.

Dieser tolle, verrückte Roman Zeppelinpost ist ihr zweites Buch. Gestartet sind Sie mit dem Roman Neubayern, erscheinen im Hirschkäfer Verlag München. Auf dem Buch steht „Neubayern ist halb moderner Heimatroman, halb erwachsene Abenteuergeschichte, spannend und berührend.“ Das glaube ich sofort, ähnliches empfand ich auch bei Zeppelinpost.
Was erwartet den Leser in Neubayern?

Auch die Geschichte fängt historisch an, in der Mitte des 19. Jahrhunderts, und man erlebt das ländliche, ärmliche Bayern. Für dieses Buch wusste ich, dass da ziemlich schnell ein Bruch in der Geschichte sein muss. Also ein überraschender Bruch, der alles auf den Kopf stellt.

Herr Scherzer,
bitte lassen Sie uns Leser nicht zu lange auf einen neuen Roman von Ihnen warten. Leselust und Neugier fiebern Ihren Büchern entgegen. Vielen Dank für das Gespräch


©Steffi.M.Black 2021(Text)
©F.Scherzer privat (Bild)